Dienstag, 12. Oktober 2010


Der Versuch einer Andacht

  • mittels eines Bildes zum Kunstprojekts The moment of consideration
  • einer biblischen Wundergeschichte (Mk 5)
  • einem erklärenden Text des Künstlers Ralf Kopp
  • und fragend-ergänzenden Einschüben des Pfarrers Sascha Heiligenthals

In jener Zeit fuhr Jesus im Boot an das andere Ufer des Sees von Galiläa hinüber, und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war, kam ein Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm. Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie wieder gesund wird und am Leben bleibt. Da ging Jesus mit ihm. Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn. Unterwegs kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten zu Jaïrus: Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger? Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Sei ohne Furcht; glaube nur Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers. Als Jesus den Lärm bemerkte und hörte, wie die Leute laut weinten und jammerten, trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur. Da lachten sie ihn aus. Er aber schickte alle hinaus und nahm außer seinen Begleitern nur die Eltern mit in den Raum, in dem das Kind lag. Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf.

Ich wurde zu dem Video durch meinen andauernden inneren Dialog inspiriert – die Schwierigkeit zu einer Entscheidung zu kommen. Das „vielleicht“, das „sowohl als auch“. Der innere Konflikt zwischen Rationaliät und Emotion. Mein Gefühl sagt mir „Tu es!“. Mein Kopf sagt mir “Lass es, es bringt nur Stress”. Mein Über-Ich hat Argumente. “richtig und falsch”, “lass es sein”, “die Ethik” – der Schweinehund der überwunden werden will – meine Ängste.

Soll ich es tun? Soll ich? Oder besser nicht? Warum nicht? Die Anderen machen´ s doch auch. Die Anderen? Nein, sorry, NEIN! Ja. Nein. Oder doch ja? Ich meine ja – nein. Oder?

Auf der einen Seite sagen die verschiedenen Frauen in ihrer Muttersprache ohne große Unterbrechung „Ja, ja, ja“ und auf der anderen „Nein, nein, nein“ – vielfältig wiederholt in einem Bild – verbunden mit Gestiken und Betonungen. Sie sind scheinbar im Dialog mit sich selbst.

Auf den ersten Blick scheint es den Frauen nicht schlecht dabei zu gehen, es wird gegrinst und gelacht, Zeit sich Gedanken zu machen, das ist gut. Die Atmosphäre stimmt, gemütliches Cafe, der Zucker steht bereit seine glücklich machende Wirkung ins Heißgetränk rieseln zu lassen.

Das Glück bleibt aber fern, denn der innere Dialog findet kein Ziel, wird zur Geschichte ohne Anfang und Ende, nervt den Betrachter, zum Glück denn

Der Betrachter wird Teil dieses Dialogs. Der innere Dialog mit sich selbst. „Ja“ und „Nein“.Soll ich etwas tun oder soll ich’s lassen? Soll ich’s so tun? Oder so? Soll ich zum Chef gehen und um Gehalt bitten, oder lass ich’s lieber? Soll ich ein Stück Kuchen essen – ein weiteres vielleicht – oder nicht? „Ja, ja“, „Nein, nein“. „Ja, es schmeckt so gut“ – „Nein es macht dick“. „Es ist gerade so gemütlich in der Kaffeerunde, da trägt doch ein weiteres Stück Kuchen gerade zur Gemütlichkeit bei.“ „Aber da ist sehr viel Zucker drin, lass das lieber – ist nicht gesund.“ „Aber mein Leben ist so anstrengend, das Stück Kuchen wäre die richtige Belohnung in stressiger Zeit.“ – „Nein, die Leute denken ja noch, du isst immer so viel.“ „Ja, ja“, „Nein, nein“. „Soll ich etwas kaufen oder anschaffen – oder nicht?“ „Soll ich ein Beziehungsproblem ansprechen, was mir wichtig wäre, was mir auf der Seele liegt – oder blüht mir dann noch mehr Ärger?“

Kopp hält uns und unseres Zeit der der scheinbar unendlichen Wahlmöglichkeiten mit dem Bildschirm den Spiegel vor. Aus der Verlockung der unbegrenzten Möglichkeiten sind längst die begrenzten Unmöglichkeiten geworden

Der Theologe Kurt Marti hat das mal verdichtet auf den Punkt so auf den Punkt gebracht:

Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.

Stillstand ist der Tod – und deshalb wollen Kopps Bilder auch nur Durchgangsstationen sein, um

die Pros und Cons hinter uns (zu) bringen – und (zu) entscheiden.

Vielleicht lässt sich ja der Druck aus der ganzen verfahrenen Situation lassen, wenn wir uns kurz bewusst machen, dass von der Entscheidung unser ganzes Leben abhängt. Nein, ich habe kein Wort vergessen, weil ich aus Zeitnot zu schnell tippe, natürlich hängt beruhigenderweise das Gelingen unseres Lebens davon ab - denn das macht gutes Leben nun mal aus: Richtige Entscheidungen! Wie kommt man zu denen. Das ist genauso einfach zu beantworten: Durch Erfahrungen! Jetzt brauchen wir also nur noch Erfahrungen, wie gewinnen wir die? Durch falsche Entscheidungen!

Entscheiden ist also gut, natürlich tut es weh über Falsche zu stolpern, ins Straucheln zu geraten, hinzufallen und trotzdem: Es ist relativ wurscht ob richtig oder falsch, vielmehr es ist relativ wichtig die falschen Entscheidung richtig zu nehmen. Nämlich mit der Haltung, die hinter Jesu Aufforderung der Wundergeschichte aufleuchtet, die er zu dem Mädchen sagt weil er uns damit gemeint hat: Talita kumi!


Mehr über Ralf Kopp und seine Arbeit?

www.videokun.st und www.ralfkopp.com


the moment of concideration - FR from Ralf Kopp on Vimeo.

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