Wieder einmal sucht sich der Münchner Tatort seine Leitmotive im religiösem und wieder einmal gelingt ein fantastischer Krimi jenseits aller „Who dunnit“ Fragen!
Leitmayr und Batic sehen sich mit einer verworrenen Gemengelage konfrontiert. Ein Häftling tot, tags darauf ein anderer geflohen. Gibt es einen Zusammenhang? Stecken gar korrupte Beamte dahinter? Schnell wird uns Zuschauern erzählt, dass beide Annahmen stimmen. Marie Hoflehner eine lebensenttäuschte Beamtin hat dem Algerischen Kleinkriminellen Hassan Adub zur Flucht verholfen. Das konnte sie deshalb, weil der Dreifachmörder Charly sie für eine Heilige hält. Sie sei die einzige, die Menschlichkeit im harten Knastalltag gelebt habe. Deshalb entwickelt er den Fluchtplan. Der arme Häftling Nic Schuster verliert mit Hassan seinen Beschützer, leidet unter Todesangst, tickt aus, erpresst Charly und wird als Sicherheitsrisiko durch eine Überdosis Heroin entsorgt.
Erstmal draußen entpuppt sich Wüstensohn und –fan Addub als übler Geselle. Marie hat sich bitter getäuscht. eine zweite Chance wollte sie dem Wüstensohn schenken, er nutzt die Freiheit zur Wiederaufnahme seiner Verbrecherlaufbahn. Marie kämpft dagegen an, mit körperlicher Liebe, Argumenten, Hoffnung und Ohrfeigen. Bevor Leitmayr und Batic uns Zusehern folgen und den Zusammenhang aufdecken eskaliert die Situation und Marie erschießt Hassan.
Der Tatort stellt nicht weniger als die große Frage nach dem Bösen. Und das kann er, weil er das Thema in eindrückliche Bilder hüllt und die Geschichte immer wieder spiegelt. Themen des Hauptplots werden in Nebenhandlungen auf genommen. Das Böse begegnet uns überall, in Mördern und schrecklichen Gewaltexzessen unter den Häftlingen, im Zynismus der Hauptkommissare und als Folge der selbstlosen Hilfe der „heiligen“ Marie. Spürbar wird in jeder Szene, dass - frei nach Jesus – sich Böses nicht mit Bösem überwinden wird. Jede Schlägerei führt zu schlimmeren Misshandlungen, dass dieser Weg in die Sackgasse und nicht in eine Resozialisierung führen kann wird klar. Aber auch der biblische Umkehrschluss „sondern überwindet Böses mit Gutem“ wird verneint. Die heilige Marie gibt Hassan die Chance die er vermeintlich verdient. Und die endet im eindrucksvollen Schlussbildes des Untergangs – einer Sonne, die den Münchner Abendhimmel samt Marienkirche wechselweise in wüstensandgelb und blutrot kleidet. In einer großartigen Spiegelszene wird erzählt wie ein weiterer Akt der Menschlichkeit – der Beamte wollte den Junkie Schuster nicht länger leiden sehen, drückte die Augen zu und schloss die Gemeinschaftsdusche mit Drogenversteck auf, ein Menschenleben kostete.
Ist die Botschaft des deutschen Leitkrimis demnach im Nihilismus angekommen? Böses existiert und egal was harter Staat und mitfühlende Mitmenschen machen, es bleibt? Nein, auch wenn sich die Kommissare Mühe geben den Zynismus des anderen noch zu übertreffen! Dagegen kommt ein möglicher weg im Verborgenem, Stillem (und Gescheitertem) daher. Marie ist lange diesen Weg der Menschlichkeit gegangen, indem sie den Häftlingen freundlich und fair begegnet ist – zur Katastrophe wurde er erst als die „Heiligkeit“, soll heißen das Gute-tun radikalisierte, auf die spitze trieb, als sie versuchte mit Gutem das Böse zu überwinden.
Eine Nebendarstellerin macht es besser: Spät treffen Leitmayr und Batic auf die Brieffreundin Nic Schusters. Eine Schwärmerin die einen parfümiert schwulstigen Briefwechsel mit dem Toten Knacki unterhielt. Damit hielt sie in bei Kräften in prekärer Knastsituation, unterstützte den Prügelknaben. Als er aber ankündigt, türmen und bei ihr untertauchen zu wollen, macht sie die Fliege und taucht bei ihrer Schwester unter. Ihre Hilfsbereitschaft hat Grenzen, da wo sie nicht mehr kann, da endet ihre Bereitschaft. Ein Überwinden der bösen Knastsituation ist mit ihr nicht möglich.
Und das ist vielleicht schlechteste Botschaft - weil sie dem Jesuswort die Radikalität nimmt und es humanistischer macht: Begegnet dem Bösem mit Gutem und verliert dabei weder den Blick für euer persönliches Vermögen noch einen langen Atem. Ob´ s zum Überwinden reicht? Dafür sorgt ein anderer.
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