Dienstag, 5. Oktober 2010

Schönberg kam bis nach Crainfeld

bald ist wieder weihnachten - der alte text (24.12.2009) aus dem ausgegebenem vorgängerblog erinnert uns dran

So ihr Freunde der gepflegten Satire als Überlebensstrategie. Es begab sich aber zu der Zeit als Chöre ständige Gäste im Gottesdienst sind, dass ein Gebot von Pfarrer Heiligenthal ausging, dass edler Klang die Kirche erfülle und zur Erbauung der Gemeinde mit ihr musiziert werde. Und was dabei dann so rauskommt reizt mich alle 4 Jahre zu einer kleinem Groteske. Die letzte habe ich, obwohl frei erfunden wegen vermeintlicher Ähnlichkeit zu tatsächlichen Vorkommnissen wieder aus dem Blog getilgt. Mal schauen wie lange diese drinbleibt.
Nennen wir das Gedankenspiel „Schönberg kam doch bis nach Crainfeld“ und lassen es beginnen:

Bei uns sitzt der Chor, sei es eigener oder Gäste im Chorraum. Das mag man erstmal für ein schlüssiges Konzept halten, doch existiert das Richtige nicht nur im Falschen sondern auch umgekehrt.
Zum einem gibt das manchen Chören die Gelegenheit maximale Wege von Sitz- zu Singplatz zurückzulegen. Man will ja nicht nur gehört sondern auch gesehen werden. Und außerdem scheinen sich Stimmnachbarn all die wichtigen Geschichten für diesen Weg zur chorischen Hin-, Auf-, Um- und endgültigen Aufstellung aufzuheben. Da hat man ja die Zeit, das in aller schamlosen Lautstärke zu erzählen. Aber das ist eigentlich eine ganz andere Geschichte.
Denn zum anderen entsteht so ein Phänomen das ich mal „den atonalen Chorraumhall“ nennen möchte und das so geht: Singt der Chor beim Gemeindegesang von seinem Sitzplatz aus mit, dannn macht er das grundsätzlich in einem anderen Tempo. Unterschiede von drei, vier Sekunken der einer Dreiviertel Liedzeile sind keine Seltenheit. Nun mag der ein oder andere Chor mit Atonalität bestens vertraut sein, aber das Phänomen fällt den Sängern durchaus auf. Und dann versucht man die fehlende Synchronität durch Lautstärke zu kompensieren. Das hat sich der liebe Gott so sicher nicht gedacht als er uns das Singen schenkte.
Wir haben das im Kirchenvorstand darüber gerätselt. Eine Vermutung war, der atonale Chorraumhall entstünde, weil der Chor am anderen Ende der Kirche also weit von der Orgel wegsitze. Dagegen sprechen aber drei Dinge.
a) Ich sitze auch da. Und es ist gar kein Problem mit der Gemeinde zu singen.
b) ein geübter Chor verzögert nicht zwangsweise. Er kann durchaus auch schon die dritte Strophe begonnen haben, während der Rest gerade die zweite beendet.
c) sollte die Schallverzögerung tatsächlich ursächlich sein, müsste nach physikalischen Gesetz die Kirche 1,2 Kilometer lang sein.

Und deshalb kommt es immer wieder zu solchen Szenen wie dieser, die natürlich frei erfunden ist und deshalb Ähnlichkeiten mit real „musizierenden“ Personen rein zufällig.

Ich muss vorausschicken , dass ich im Umgang und der Kombination von Musik, Texten und Liturgie ziemlich outstanding bin: Es ist z.B. immer wieder ein Genuss zu erleben wie von mir Psalmen mit kommentierenden oder fortschreibenden Gesangsbuchliedern vereint werden. Aber an Weihnachten habe ich die Rechnung ohne den Chorraumchor gemacht. Das Fürbittgebet beginnt , es ist abgestimmt auf das wunderschöne „Es ist ein Ros entsprungen“, das strophenweise gesungen wird. Die erste Strophe beginnt, die Orgel setzt ein. Der Chor auch. Auswendig und in der ersten Strophe sehr textsicher. Aber er singt sehr viele Achtelnoten. Singt man viele Achtel wo Viertel stehen, die der Rest der Kirche samt Orgel anstimmt, dann hat man schnell eine halbe Strophe Vorsprung.
Gott sei Dank, ist das Elend recht schnell vorbei. Aber nach kurzem Gebetsanliegen droht die zweite Strophe. Der Chor setzt ein. Textlich wird die Gestaltung jetzt kreativer. Aus Blümelein wird Röslein klein u. ä. An der falschen Geschwindigkeit will der Chor nichts ändern. Ich drehe mich um und versuche den Takt zu dirigieren. Einzelne verstehen das als Aufforderung plötzlich sehr laut zu singen. Ich wende mich ab und mache ein entsetztes Gesicht.
Dritte Strophe. Einzelne Stimmem im ersten Tenor überschlagen sich jetzt. Das ist nicht so schlecht. So überhört es sich leichter, dass der Text – rein heilsgeschichtlich betrachtet – ins Groteske abdriftet. Ich fange aus Verzweiflung an zu beten. Gott antwortet barsch: „Weißt du denn nicht , dass Weihnachten ist? Da habe ich viel und wichtigeres zu tun!“. Wenig tröstlich, aber immerhin, ich scheine kein Einzelschicksal zu sein.
Vierte Strophe. Ich versuche mit Gott einen Kuhhandel. „Könntest du mich nicht spontan ertauben lassen, Herr?“. „Mildernde Umstände gibt’s erst ab fünfzehn Dienstjahren!“ ist die Antwort. „Und jetzt hör’ auf zu heulen sonst verpass ich dir einen Tinitus mir der Jingle Bells Melodie!“. Das sitzt. Ich singe die vierte Strophe noch ein wenig mit. "O Jesu bis mein Scheiden aus diesem Jammertal." Der Text gibt meiner Gefühlswelt Worte. Der vorauseilende Chor erlaubt, dass ich die Zeile gleich zweimal voll Inbrunst anstimmen kann ohne aufzufallen. Ich warte dann noch geduldig bis die Gemeinde auch fertig ist und spreche den Segen.

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