Freitag, 12. November 2010

Days like this: Winde wehn....

Der Blog heißt ja so romanatischironisierend "Aus dem Leben eines Dorfpfarrers. Da will ich statt zuviel zu versprechen lieber ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Das Setting ist weitestgehend bekannt: Mein Leben spielt sich im Vogelsberg und aktuell im Novemember ab und so sieht ein fast normaler Freitagvormittag aus:

Auf dem Weg zur Aussegnung (das ist eine obligatorische Kurzandacht, wenn ein Verstorbener vom Bestatter aus dem Haus geholt wird), versuche ich per Handy mit unserer Versicherung ein Modus Vivendi in einem seltsamen Schadensfall zu finden. Der Traktorreifen eines ehrenamtlichen Helfers ging bei Arbeiten auf dem Kirchengelände an einem Nagel hopps (merke: Arbeiten ohne Traktor kommen hier faktisch nicht vor). Die Dame am Apparat ist nicht nur zu erreichen sondern auch sehr hilfsbereit. Ich komme erleichtert an, immerhin kein Ärger vor dem bevorstehenden pastoralen Akt.

Über Aussegnungen selbst müsste man mal ausführlichen sprechen, vielleicht so viel: So problematisch sie arbeitsorganisatorisch betrachet sind, so wertvoll und bewegend sind sie oft.

Nach der Feier leite ich dann im Zurücklaufen Sponsorenmails an unsere Grafikerin weiter. Fluch und Segen des Iphones, das die Büchse der Pandorra öffnet und so etwas möglich macht. Apropos Fluch und Sponsorenmails (Segen kommt später noch): Da es aus verständlichen Gründen keinen Ortsbeirat mehr gibt hat die Macht des Faktischen mich ausersehen die Einmannlogistikzentrale des Kirch- und Dorfjubiläums zu sein. Irgendwie nicht ganz untypisch und dabei drollig denke ich.
Noch drolliger erweist sich was zuhause im Briefkasten wartet. Sponsoren, die ihr Logo leider nur als verwaschene Schwarzweißkopie auf Papier weiterleiten können, das auch noch lustig mit Kuli verziert ist, im Jahresflyer bitte aber mir rotem Balken und das schön hervorgehoben und das bitte fett und überhaupt bunt erscheinen möchten, andere erwarten offensichtlich auf einem DinA4 Flyer Halbseitenanzeigen, als allgemeine Regel gilt: ordentlich zu verarbeitende Logos - soll heißen im gängigen Format per Mail - müssen nicht sein, die Verarbeitung, Scannen, Zuschneiden, kollorieren wird wohl vorrausgesetzt, ein Korrektabzug natürlich erwartet.
Na dann, telefoniere ich mal mit der Grafikerin und lade nebenbei fotologbilder hoch (siehe da), schreibe eine kombinierte Homepage- und Pressemitteilung über die Segnungen (da ist er ja der Segen) des Frauenkreisangebots (klickst du hier) und renne dann ins Dorflädchen weil ich zum Zusammenstellen des Mittagsmahls noch Yoghurt brauche (meine Frau fährt dieweil die 35 Kilometer einfache Strecke zum tegut, wegen "gesund" und "ökologisch", der Widerspruch "mit CO2 rausblasen" "um hinzukommen" ist uns bewusst! Wir wissen auch, dass es eine Fillale der Kette in Lauterbach gibt, das sind zwar nur 23 Kilometer einfach, aber die müsste teunterdurchschnittlich heißen.)

Ohne Auto zu erreichen ist zum Glück der Laden. Auf dem Rückweg bläst mich aber die Fortsetzung des Sturmes an der am gestrigen St. Martin nicht nur Laternen aus- sondern auch kleine Laternenträger umgepustet hat.

Wenigstens macht der Briefkasten diesmal Freude. Der literarische Zirkel - sprich die Familie mit der wir Bücher (nächste Bücherei in Lauterbach, die bessere in Fulda, vgl. oben) tauschen hat ein neues Paket eingeworfen. Neben viel Nobelpreiszeugs (Llosa, Kertesz und Müller) überrascht ein humoriges Büchlein "Heirate nie den Berg hinauf", das sich laut Untertitel mit der Modernisierung des Vogelsberges beschäftigt.

Und siehe da im Vorwort steht schon brennglasgleich alles zusammengefasst, und wirft so ein konzentriertes Licht auf das was mich heute beschäftigt hat: Tradition, nicht funktionierende Moderne, Wetter und den Umgang mit Widrigkeiten:

"Um so drastischer ist sein (Anmerkung: der des Vorgelsberges) Beginn, wenn man auch nur wenige Kilometer von der Autobahnabfahrt entfernt ist. Leicht winterliches Wetter auf der Autobahn verwandelt sich umgehend in eine windverbla-sene, eisige Schneelandschaft, die Dörfer ducken sich in die Täler, mancher Höhenweg ist nur mühselig zu befahren. Glaubwürdig sind auch Berichte, daß noch vor kurzem der eine oder andere auf dem Fußmarsch von Schotten nach Lauterbach erfroren ist. Und hemmungslos sind auch die Sommer. Jede Gelegenheit zu Regen und Wind wird ausge­nutzt, dichter Nebel sitzt dann auf dem Hohenrodskopf. Gibt es aber zu solchem Wetter einfach keine Gelegenheit, dann ist es kompromißlos Sommer, wirkliche Wiesen mit Blumen und Duft, bald auch Heu, die Wärme steigt an den Hecken entlang zum Waldrand hoch. Es kommt aber auch dann häufig zu Winden, und von der Herchenhainer Höhe aus lassen sich Bussarde bis weit in die Wetterau heruntertreiben. Die Vogelsberger betonen bei jeder Gelegenheit die Benach­teiligung durch die Natur und unterscheiden genau das Widrige von dem noch Widrigeren.

aus Detlev Ipsen (Hg.): Heirate nie den Berg hinauf! Berichte über die Modernisiserung im Vogelsberg. ISBN 3-88751-005-4, S. 8


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